„OK Boomer“ ist ein insbesondere in den sozialen Medien gern genutzter Ausdruck, der zum einen viele Missstände, die aus der altherbrachten Interpretation von Arbeit und Erfolg resultieren, deutlich zu machen. Er dient aber auch dazu, die ältesten oder bereits ausgeschiedenen Kolleg*innen im Arbeitsleben abzuwerten – dabei können sich jüngere Generationen von den Babyboomern eine Menge abschauen. Was wir von den Babyboomern lernen können habe ich mir einmal genauer angeschaut.
Mein Papa wird heute 75. In den letzten Tagen habe ich viel darüber nachgedacht wie das wohl ist, ein dreiviertel Jahrhundert alt zu sein und was er alles schon in seinem Leben erlebt und gemacht hat – und wie das sein Denken und Handeln heute prägt. Dabei fällt mir mal wieder besonders auf, wie unterschiedlich wir denken und wie anders sein Blick auf die Welt im Gegensatz zu meinem ist. Wir beide haben glücklicherweise einen sehr schönen Weg gefunden, uns insbesondere über Themen aus dem beruflichen Kontext auf Basis dieser Unterschiedlichkeit sehr konstruktiv auszutauschen. Das Wissen darüber, warum die Generationen so unterschiedlich ticken, ist übrigens im Job wie im privaten Umfeld eine große Hilfe wenn es darum geht, in Gruppen mit diverser Altersstruktur gut miteinander auszukommen.
Patriarchale Hierarchie als prägendes Element
Wenn man sich mal anschaut, was die Generation der Babyboomer in ihrer Kindheit geprägt hat, sieht man schon direkt den ersten riesigen Unterschied: Die meisten sind nämlich in einem Befehlshaushalt aufgewachsen, in dem patriarchale Hierarchie sehr offen und klar gelebt wird. Nicht selten gab es für keine und große Vergehen mal eine Tracht Prügel und Kinder hatten „vor allen Dingen den Mund zu halten wenn sie nicht gefragt wurden“. Wesentliches Ziel der Eltern war es, mit viel Arbeit ein gewisses Maß an Wohlstand (wieder) herzustellen, schließlich sollten es „die Kinder mal besser haben als wir.“ Ein weiteres, sehr prägendes Merkmal dieser Generation ist das Festhalten daran, dass Lebenswege weitergehend vorgezeichnet schienen.
Da ist es wenig überraschend, dass die Babyboomer-Generation einen starken Fokus auf den Werten Priorität von Arbeit, der Akzeptanz von Hierarchie und Regeln sowie einem stark ausgeprägten Durchhaltevermögen hat. Das clasht natürlich an vielen Stellen mit den Werten und Vorstellungen jüngerer Generationen, die das bestehende System gern in Frage stellen. Oft liegen hier auch die Ursachen für Überlastung, Unzufriedenheit und viele nicht genutzte Möglichkeiten, die abseits der Arbeit im Leben auf einen warten.
Gleichzeitig findet sich in dieser Haltung aber auch einiges, was man sich gut dosiert abgucken kann. Hier sind drei Stärken die Babyboomer besonders auszeichnen:
Manchmal braucht es Durchhaltevermögen
So ist zum Beispiel jedes sinnorientierte Handeln oder selbstorganisiertes Arbeiten wenig effizient, wenn ich in bestimmten Punkten nicht auch mal den „Augen zu und durch“-Modus einschalten kann um unangenehme aber notwendige Aufgaben zu erledigen die ich für die Erreichung meines Ziels brauche. Gerade im Job fallen immer wieder auch Aufgaben an, auf die niemand wirklich Lust hat – die aber für die Erreichung des Ziels notwenig sind.
Regeln befolgen – besonders in agilen Kontexten
Es kann gerade in sehr unruhigen oder gar chaotischen Zeiten hilfreich sein, eine bestehende Ordnung und Regeln zum Wohle aller einzuhalten. Dabei muss es nicht immer gleich die große Ausnahmesituation sein: Insbesondere agile Arbeitsmethoden kommen ohne klare Regeln gar nicht aus. Hier sorgt ein Nicht-Befolgen von Regeln dafür, dass man bestenfalls im agilen Phantasialand landet – wirklich voran kommt so niemand.
Lebenserfahrung nutzen
Und last, but not least haben die Babyboomer einen ganz entscheidenden Vorteil: Lebenserfahrung. Auch wenn früher eben nicht alles besser war können Erfahrungen in vielen Situationen extrem hilfreich sein – insbesondere dann, wenn man sie mit den Ansätzen der „jungen Wilden“ mixen kann.
Generell ist das ein ganz wichtiger Punkt in der Zusammenarbeit in Teams mit diverser Altersstruktur: das Mixen der unterschiedlichen Ansichten und Werte für ein besseres gegenseitiges Verständnis auf Basis einer guten Generationenkompetenz. Nur so kann ein Team für sich die beste Mischung herausfinden in der alle ihre Stärken einbringen können anstatt sich damit zu beschäftigen sich über die Unterschiedlichkeiten auseinander zu setzen. Für mich ist es ein wesentlicher Bestandteil guter Führung, dafür den Raum zu geben und auch zu halten.
Wie sieht es in euren Teams aus? Habt ihr Euch schon einmal vielleicht sogar in der Gruppe mit dem Thema Generationenkompetenz beschäftigt?
Ein Nachtrag noch für alle, denen jetzt ganz viele Gegenbeispiele zu den genannten Merkmalen einfallen oder die eine unsachgemäße Verallgemeinerung wittern: Hier geht es nicht darum, alle über einen Kamm zu scheren. Modelle, wie das hier benutzen Generationen-Modell, sollen dabei unterstützen die Realität einzufangen, zu abstrahieren und zu systematisieren um einen Überblick zu bekommen. Das Ziel: Verständnis für Unterschiedlichkeit schaffen. Denn darin liegt der Schlüssel für ein gutes und konstruktives Miteinander.