Was kommt Dir als erstes in den Sinn wenn Du den Begriff New Work hörst?
Die einen denken an Open Space-Büros, Kicker und freie Getränke, die anderen an Kontrollverlust und Laissez-faire, wieder andere gruselt es vor Flip Flops im Büro, die nächsten sehen es als irgendeine schwammige Versprechung die man machen muss um „die guten jungen Leute“ rekrutieren zu können…und dann gibt’s noch die, die das ganze Thema als große Chance verstehen.
Eines haben alle gemeinsam: Es gibt nicht „DIE“ Definition. Kaum ein anderes Wort wird derzeit so inflationär durchs Dorf getrieben, mit so viel Luft aufgeblasen und dann steht man vor der Frage was das denn eigentlich jetzt konkret ist und wie man „das macht“. Darüber hatte ich gestern eine spannende Diskussion die ich hier gern festhalten möchte.
Ich glaube der wichtigste Punkt ist: Der Begriff steht für eine Haltung steht. Wir kommen aus einer Zeit, in der Organisationen klassischerweise über Hierarchien gesteuert wurden. Bestes Beispiel sind Familienunternehmen: Da gibt es oben an der Spitze den Patriarchen, der genau weiß, wo es langgeht, was zu tun ist und der seine Mitarbeiter*innen schützt und im Schoße des Unternehmens beherbergt. Das hat viele Vorteile und ist sicherlich gemütlicher als die Gangart in einem leistungsorientierten Unternehmen, in dem neben der persönlichen Leistung noch Macht und vor allem Wissensvorsprung Garanten für den Erfolg sind. Eines haben beide Varianten gemeinsam: Es gibt immer eine*n, der vermeintlich über alles Bescheid weiß und sagt wo es langgeht. Und es sind alles Konstrukte, die in der Vergangenheit teils sehr erfolgreich waren – das möchte ich auch nicht kleinreden. Aber: Es gibt für alles im Leben eine Zeit. Und wir erleben gerade eine (durch die Corona-Pandemie arg beschleunigte) Transformation der gesamten Gesellschaft, die auch die Arbeitswelt massiv verändert.
Warum? Weil das „Außen“ immer komplexer und dynamischer wird und es einfach nicht mehr funktioniert, dass der eine Inhaber, Geschäftsführer oder Manager alles im Blick hat, die alleinige Verantwortung trägt und allen anderen sagt was zu tun ist. Dass auf diesem Prinzip nicht nur aktuell immer noch eine Vielzahl von Unternehmen basiert, es für viele Menschen die Basis des eigenen Selbstverständnisses und Lebensentwurfs ist und auch für viele Menschen ein Konstrukt darstellt, indem es sich sehr gemütlich leben lässt, ist klar. Und das wird auch noch eine Zeit lang im Übergang funktionieren. Wie lange der dauern wird (2 Jahre? 5? 10? 20?) weiß ich nicht. Trotzdem kann es ja nicht schaden sich mal anzuschauen, was denn eigentlich die Schlüsselelemente von New Work sind.
Ich möchte hier mal die für mich wichtigsten benennen – wohlwissend, dass das keine vollständige oder endgültige Liste ist. Meine Liste stellt schließlich zum einen nur meine Perspektive dar und zum anderen entwickelt sich das Thema ständig weiter. Wenn also jemand Ergänzungen, Änderungen oder völlig neue Punkte beisteuern möchte sind diese sehr herzlich willkommen!
Dies sind die aus meiner Sicht wichtigsten Apsekte zur Übersetzung von New Work aus dem Buzzword-Bingo ins echte Leben:
1. Es ist eine Haltung, kein Modell, Prozess oder Patentrezept.
Anders als bei vielen etablierte Management-Methoden gibt es nicht DAS eine Rezept das man befolgen kann und dann macht man New Work. Vielmehr ist es eine Haltung, die sich über die Unternehmenskultur in allen Prozessen wiederfindet. Deswegen kann es auch niemals die Aufgabe von nur einer Abteilung sein, sondern muss Bestandteil aller Vorgänge werden.
2. Potentialentfaltung statt Ressourcennutzung
Gerade in den stark leitungsgetriebenen Branchen und Umfeldern ist es üblich, möglichst viel aus den Mitarbeiter*innen und Führungskräften „herauszupressen“. Passung, Wünsche oder persönliche Umstände sind uninteressant, was zählt ist die Zielerreichung und teilweise eine ziemlich gnadenlose Effizienzorientierung. Lege ich den Fokus als Unternehmen aber stärker auf die Potentiale die meine Mitarbeiter*innen mitbringen, erzeuge ich häufig eine viel stärkere emotionale Bindung an den Job und das Unternehmen und nicht zuletzt Spaß an der Arbeit. Unterstützt durch die richtigen Leitplanken (die natürlich insbesondere aus wirtschaftlicher Sicht absolut notwendig sind) generiere ich so langfristig den besseren Output.
3. Verantwortungsübernahme statt Hierarchie
In einem stark hierarchisch organisierten Unternehmen gibt es klare Verantwortlichkeiten. Wenn ich an einer Stelle nicht weiterkomme kann ich das Problem einfach an die nächsthöhere Ebene abgeben. Dadurch, dass ich Entscheidungen nur für meinen Verantwortungsbereich treffen muss, trage ich auch immer nur einen kleinen, abgegrenzten Bereich die Verantwortung und muss mich um das große Ganze gar nicht kümmern. Das funktioniert solange gut bis komplexe und dynamische Themen zu bearbeiten sind. Denn durch „Kästchen-Verantwortung“ ist niemand für übergreifende Themen, Vernetzung von Entscheidungen oder gar Wechselwirkungen verantwortlich. Wenn jedoch immer derjenige, der für ein Thema EXPERTE ist, für dieses Thema auch übergreifend die Verantwortung trägt, ist das Spiel ein ganz anderes. Und ja, das schließt auch ein, dass die Geschäftsführung auf diese Expertise vertraut.
4. Leadership statt Management
Mal ganz holzschnittartig formuliert: Früher hat der Chef bestimmt wo’s langgeht. Und er hat auch kontrolliert ob das Ziel erreicht wird. Klassisches Management eben, gern auch immer mal wieder auf der Mikroebene. Wenn ich aber davon ausgehe, dass jede*r Mitarbeiter*in für den eigenen Aufgabenbereich die Verantwortung trägt, braucht es vom Chef etwas ganz anderes. Denn die Aufgabe des Vorgesetzten ist es in dem Fall dafür zu sorgen dass die Mitarbeiter*innen bestmöglich arbeiten, ihr Potential entfalten und sehen können, welche Beitrag sie zum großen Ganzen liefern. Und wenn es Hindernisse gibt, die auf Mitarbeiterebene nicht selbst gelöst werden können, ist es Aufgabe eines Leaders dafür zu sorgen, dass diese aus dem Weg geräumt werden.
5. New Work needs inner work!
Wenn es plötzlich nicht mehr so ist, dass mir ganz klar vorgegeben wird was ich „auf Arbeit“ zu tun und zu lassen habe, braucht es natürlich eine gewisse innere Klarheit darüber, was ich gut kann, wo ich Verantwortung übernehmen kann/möchte und an welchen Stellen ich die Unterstützung anderer benötige. Selbstorganisation ohne innere Klarheit ist nicht möglich.
6. Authentizität
Das setzt natürlich voraus, dass ich authentisch und ganzheitlich bin. Damit ist nicht gemeint, dass ich meine privatesten Themen in der Organisationsöffentlichkeit darlegen muss. Aber es erfordert schon, dass ich als der Mensch der ich bin auftrete und nicht „so tue als ob“ und im Job einen Charakter spiele, der ich gar nicht bin.
7. Netzwerke lösen Silos auf
Wenn ich die vorgenannten Punkte für mich lebe dann entsteht eines ganz automatisch: Ich denke und handle in Netzwerken. Und eben nicht begrenzt in Abteilungen, einzelnen Teams oder sonstigen Gruppen. Wissen ist plötzlich nicht mehr Macht, sondern als geteiltes Gut wesentlicher Bestandteil der funktionierenden Zusammenarbeit. Und wenn ich offen und transparent für jede Aufgabe die richtigen Menschen zusammenbringe, die es in dem Moment braucht, ist so etwas wie eine Bereichszugehörigkeit gar nicht mehr wichtig.
8. Always learing statt always knowing
Last but not least: Wenn ich „New Work“ wirklich leben möchte bedeutet das das ich anerkenne, dass unsere heutige Welt so dynamisch und komplex ist, dass ich gar nicht mehr alles, was ich für meine Aufgaben brauche, wissen KANN. Insbesondere für Führungskräfte ist das ein ganz entscheidender Mindshift. Traditionell ist die Erwartungshaltung eben oft immer noch, dass „die da oben“ schon wissen müssen was zu tun ist. Das Gegenteil ist der Fall: Aufgabe von „denen da oben“ (und im Übrigen auch jedes Einzelnen) ist es zu wissen, wen ich für was fragen kann oder wo ich das, was ich brauche, lernen kann,
Diese Liste ist mit Sicherheit nicht vollständig oder uneingeschränkt richtig. Und natürlich kann man nicht von heute auf morgen von „alter Welt“ auf neue Organsiationsformen umschalten. Balance heißt auch hier wie an so vielen Stellen das Zauberwort. Mir war es nur ein Anliegen einmal darzustellen, welche Aspekte von New Work gerade aus meiner Perspektive oben auf liegen weil sie eine dringend notwendige Übersetzung des Buzzwords „New Work“ in den Alltag organisieren.
Übrigens: Meine Erfahrung ist, dass viele erfolgreiche Freelancer diese Punkte häufig für sich schon sehr stark leben – vielleicht auch mal eine Idee sich diese Menschen als Role Model ins Unternehmen zu holen um von Ihnen zu lernen?
Mich interessiert: Was ist Eure „Übersetzung“ von New Work? Fehlt Euch etwas in der Liste? Was tut ihr konkret um Euch oder Eure Organisation dahingehend zu verändern?