Gestern die Darts-Weltmeisterschaft zu Ende gegangen. Für mich als Darts-Fan ein großartiges Turnier mit spannenden Matches! Aber in diesem Jahr war es ein bißchen anders. Es hat ein paar Tage gedauert bis ich verstanden habe was sich da so anders als in den vergangenen Jahren angefühlt hat: Die Darts-WM hatte tatsächlich in diesem Jahr ein paar New Work-Elemente die sichtbar geworden sind. Klingt erstmal komisch, aber so war’s. Hier sind meine Top 5 Punkte, in denen Ansätze zu einer neuen Lebens- und Arbeitswelt in diesem eher dafür ungewöhnlichen Umfeld sichtbar wurden:
Gemeinsam für das große Ganze statt Ego-Denken
Natürlich spielt man Darts 1:1 und am Ende kann nur einer gewinnen. Gar keine Frage. Darüber steht aber sowohl für die PDC (das ist der größte Dartsverband und Ausrichter der WM, also quasi die FIFA der Dartswelt) als natürlich auch die Spieler, Sponsoren und auch Fans auch die Idee, den Darts-Sport als „Randsportart“ bekannter und größer zu machen. Und damit kommt dann neben der ausschließlichen „1:1-Ich-will-hier-gewinnen“-Perspektive plötzlich eine neue Sichtweise mit ins Spiel: Wir können wir alle gemeinsam etwas Großes bewegen. Und damit geht es dann nicht mehr nur alleine ums gewinnen, sondern auch darum gemeinsam ein tolles und spektakuläres Match zu gestalten und einfach Freude zu haben am Darts spielen und auch daran, Teil von etwas größerem zu sein. Wer das Viertelfinale Michael Smith gegen Johnny Clayton gesehen hat war Zeuge eines Paradebeispiel dafür dass das eigene Ego allein eben nicht immer das wichtigste ist.
Agilität statt Festhalten am Plan
In einem Darts-Spiel ist es ein bißchen wie in einem klassischen Projekt: Es gibt ein paar Rahmenbedingungen, jeder Spieler hat seinen Gameplan und sein Equipment und dann wird durchgezogen. Hat man immer schon so gemacht, hat oft funktioniert. Und dann passiert schon in der ersten Runde etwas, was viele Experten erstmal komplett überrascht hat: Peter Wright, einer der Top-Favoriten auf den Titel, wechselt mitten im Spiel seine Darts. Das hat’s so noch nicht gegeben und es wurde ihm prompt sowohl von den Deutschen als auch den englischer n Kommentatoren als Schwäche ausgelegt und als Indiz identifiziert dass er dieses Jahr auf keinen Fall Weltmeister werden kann. Das macht man schließlich einfach nicht, es bringt den Plan durcheinander. Im Interview nach dem ersten Spiel erklärte der Schotte in aller Seelenruhe dass er im Spielverlauf gemerkt hat dass er sich mit seinen Darts nicht wohl gefühlt hat und sein Ersatz-Set für die Gegenbenheiten an dem Tag nicht richtig funktioniert haben. Darüber waren dann alle angemessen verwundert. Nun – der neue Weltmeister heißt seit gestern Abend Peter Wright. Und der hat sogar gestern mitten im Finale nach 5 gespielten Sätzen seine Darts angepasst.
Authentizität und Verletzlichkeit als Stärke
In diesem Jahr hatten tatsächlich zwei Dinge einen Platz im Turnier: Gefühle und (seelische) Gesundheit: Luke Humphries, hoffnungsvolles englisches Nachwuchstalent dass im Jahresverlauf massiv in seiner Leistung eingebrochen war, präsentiert sich mit deutlich reduziertem Körpergewicht und erklärt, dass er in den vergangenen Monaten mit starken Depressionen zu kämpfen hatte und es für Ihne eine Erleichterung war, diese nun nicht mehr verstecken zu müssen sondern offen damit umgehen zu können. Seitdem habe sich viel zum Positiven verändert. Sprachs und marschierte mit einem extrem starken Auftritt nach dem anderen durch ins Viertelfinale. Anderes Beispiel: Michael Smith spielt ein phantastisches Turnier, liefert Peter Wright im Finale einen großen Kampf und verliert das Finale am Ende knapp und etwas unglücklich. Weg ist er der große Traum vom WM-Titel. Und anstatt stoisch möglichst cool zu bleiben oder gar die Schuld für die Niederlage bei anderen zu suchen lässt er seinen Tränen einfach freien Lauf. Weil das in so einer Situation nicht schwach sondern einfach menschlich und obendrein auch noch gesund ist. Es ist ein Zeichen von Stärke, als ganzer Mensch bei der Arbeit zu erscheinen und eben auch den negativen Gefühlen ihren Raum zu geben. Das Narrativ von „bloß keine Schwäche zeigen“ hat halt eben einfach ausgedient. Schön zu sehen, dass der Mythos vom „richtigen Mann“, der maximal aggressiv und ohne die Rücksicht auf eigene Gefühle und Gesundheit, koste es was es wolle zu vermeintlichem Ruhm und Ehre marschiert ist nicht mehr das einzige Narrativ ist
Der Job ist nicht alles: Teilzeit für „Führungskräfte“
Auch ein schönes Beispiel für eine neue Lebens- und Arbeitswelt: Es gibt auch in der Dartswelt Wichtigeres als möglichst viele Titel zu holen bzw. die dazugehörige Menge an Preisgeld zu maximieren. Alt-Weltmeister Gary Anderson verzichtet auf Weltranglisten-Plätze und durchaus noch zu verdienende zusätzliche Millionen Preisgeld weil er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen möchte. Als er das Anfang des Jahres relativ nonchalant mitteilte unkten viele schon über ein schleichendes Karriereende, fehlenden Biss und das Ausgebrannt-sein des „Flying Scottsman“. Aber siehe da: Der Darts-Zirkus ging einfach weiter und Gary Anderson spielte trotzdem eine entscheidende Rolle. Erst im Halbfinale war für den Doppel-Weltmeister in diesem Jahr Schluss. Gleichzeitig hat er seine Zeit nicht nur seinem Job gewidmet sondern auch seine beiden Kids beim Aufwachsen begleitet. Letzteres war für ihn dieses Jahr übrigens auch das Wichtigere. Und es ist ihm ein Anliegen zu zeigen, dass auch das entgegen althergebrachter Glaubenssätze geht.
Leadership in unsicheren Situationen
Leadership ist auch in sehr klassisch orientieren Organisationen möglich: Der PDC-Verband stellt und agiert in einem sehr alten und traditionellen Setting: Es gibt fast ausschließlich männliche Spieler mit weißer Hautfarbe, auf der Bühne sind die Rollen bis auf die beiden Ausnahmen Fallon Sherrock und Lisa Ashley (die sich beide bereits in der ersten Runde verabschiedet haben) klassisch verteilt: Die Damen werden auf vermeintlich allgemein gültige körperliche Schönheitsmerkmale reduziert und sind Cheerleader, die Hauptdarsteller und Entscheider auf der Bühne sind männlich. Dazwischen gibt’s nix.
Und trotzdem hat die PDC es geschafft, Leadership im Umgang mit komplexen äußeren Umständen zu zeigen. Losgelöst und sicher nicht immer zur Freude der wirtschaftlich wichtigsten Stakeholder gab es im Umgang mit der Pandemie klare Leitplanken: Spieler-Interviews gab esauch live nach den Spielen nur per Videochat, bei positivem Coronatest ist der betroffene Spiele sofort raus aus dem Turnier und sein Gegner eine Runde weiter. Da trifft’s dann auch diejenigen die viele Einnahmen über Merchandising-Verkauf versprechen wie beispielswiese Michael van Gerwen. Ob die Maßnahmen alles so „richtig“ wardn weiß ich nicht. Was aber klar war ist, dass der Turnierverlauf nicht gefährdet wurde und man sich statt in endlosen Diskussionen in verschiedenen Gremien zu verlieren auf das Why der Veranstaltung konzentriert hat: den neuen Weltmeister zu küren und eine große Show zu liefern. Das hat nicht zuletzt aufgrund der klaren Leitplanken als Orientierung für alle auch in der aktuell komplexen Situation super geklappt.
Last but not least noch eine grundsätzliche Sache: Natürlich ist die Darts WM keine komplett transformierte New Work-Organisation die als schillerndes Vorbild für eine schöne neue Welt daherkommt. Bei weitem nicht. Aber sie ist ein schönes Beispiel dafür, wie Veränderungen auch in sehr traditionellen Umfeldern ihren Weg finden können – was ja sehr nah an der Realität in den meisten Unternehmen hier in Deutschland liegt. Ich bin gespannt wie sich das Ganze im kommenden Jahr weiter entwickelt.